Im Zusammenhang mit Preisen beschreibt der Ankereffekt das Phänomen, dass auch willkürliche Nennungen von Preisen (oder Zahlen!) unser Urteil über Preise stark beeinflussen können.
Der Ankereffekt ist vielfach untersucht und demonstriert worden. Mein Lieblingsbeispiel ist ein Experiment, in dem die Teilnehmer 1) die letzten zwei Ziffern ihrer Sozialversicherungsnummer aufschreiben und 2) ein Preisgebot für Alltagsdinge (Tastatur, normaler Wein, Belgische Schokolade etc.) abgeben sollten. Man kann es kaum glauben, aber die Sozialversicherungsnummer hatte einen erheblichen Einfluss auf die Gebote.
Ich glaube es mittlerweile zu 100%. Unser Urteil zu Preisen lebt vom Vergleich. Mit irgend etwas müssen wir vergleichen, um uns ein Urteil zu bilden. Und wenn dann nichts besseres als die Sozialversicherungsnummer vorhanden ist, nimmt unser Hirn auch diese Info dankend entgegen.
Aus dem Ankereffekt ergeben sich wichtige Folgen für Preiskommunikation und -verhandlung. Den Preis möglichst früh zu nennen ist eine offensichtliche Anwendung des Ankereffekts. Das wissen die Händler auf dem Bazar auch, weshalb sie früh - sagen wir mal: saftige - Preisforderungen stellen. Die Touristen freuen sich, wenn sie das auf die Hälfte runterhandeln. Aber, merke, es ist halt die Hälfte vom zuerst genannten Preis, die Taktik ist voll und ganz aufgegangen.
Im Business-to-Business (B2B) Bereich geht es natürlich etwas subtiler zu, das Prinzip bleibt das gleiche. In der Zeitarbeit sind es nach meinem Eindruck vor allem die Einsatzunternehmen, die das draufhaben. Das haben Sie doch auch schon gehört, oder? "Wir brauchen einen/mehrere Zeitarbeitnehmer, können aber maximal nur x € zahlen?" Jetzt heißt es: Achtung: da will jemand "ankern"!
Es ist schon sehr viel gewonnen, wenn Sie nach dem Lesen dieses Blogs die Taktik des anderen Teams durchschauen können. Machen Sie sich auch klar, dass Sie sich dem psychologischen Effekt des Ankers nur sehr schwer entziehen können. Sie müssen also gegenüber Ihrem eigenen Urteilsvermögen besonders kritisch sein. ("Zu welchem Preis hätte ich angeboten, wenn der Kunde keinen Maximalpreis genannt hätte?")
Die folgenden Taktiken sind ebenfalls hilfreich. (Taktiknamen gemäß aktuellem Anlass).
Taktik "Sofort Kontern". "Sie kennen uns für unsere fairen Preise. Aber das ist einfach unrealistisch. Vor kurzem habe ich einen ähnlichen Einsatz für y € verkauft." Das ist sozusagen der "Gegenanker". Funktioniert natürlich besonders gut, wenn es stimmt. (Das ist der "Engelskreis" guter Preise.) Ansonsten kann man auch eine Preisspanne nennen.
Taktik "Saubere Grätsche". "Gerne mache ich Ihnen ein Angebot für diesen Preis. Aber Ihnen ist schon klar, dass dies bedeutet, dass ..." Z.B.: Kunde will einen Facharbeiter und Sie machen klar, dass Sie zu diesem Preis nur einen Fachhelfer anbieten können.
Taktik "Ball ins Aus spielen und Gegenpressing starten". "Zu Preisen kann ich erst etwas sagen, wenn es um einen (oder mehrere) konkrete Kandidaten geht." Einen höheren Preis werden die Kunden nur akzeptieren, wenn Sie die Qualität des Angebots einschätzen können. Das ist natürlich unmöglich, solange man abstrakt z.B über "einen Schweißer" redet. Finden Sie heraus, worauf es den Kunden außer dem Preis noch ankommt. Z.B. Qualitäten / Kenntnisse / Erfahrungen bei den Zeitarbeitnehmern oder besondere Services / Qualitätszusagen bei Großaufträgen. Wenn Sie da punkten können, ignorieren Sie bewusst den genannten Preis und bieten zu "Ihrem" Preis an. Damit sind die Karten neu gemischt und es kann in die finale Verhandlung gehen.
Alle diese Taktiken (auch Kombinationen) sind sinnvoll! Wählen Sie, was zu Ihnen und zur Situation passt. Auch Zeitarbeitsfirmen können aktiv Anker setzen bei Preisverhandlungen. Das ist ein Thema für einen anderen Blog, den ich dann hier verlinken werde.
Sie wissen ja: nach dem Blog ist vor dem Blog.
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