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  • Writer's pictureJochen Garbers

Open Book Kalkulation

Updated: Feb 6, 2022

Vielleicht sind Sie kein Fan von Open Book Kalkulation. Dann geht es Ihnen wie mir, und im Laufe des Artikels werden wir über die Gründe reden. Aber wie würden Sie reagieren, wenn ein Kunde Open Book Kalkulation anbietet oder fordert? Würden Sie dann wutschnaubend aus prinzipiellen Gründen den Verhandlungstisch verlassen?

Ich vermute mal: eher nicht. Außerdem: es gibt kalkool Kunden, die mit Ihren Kunden per Open Book arbeiten, und die sind nicht unzufrieden. Wenn die andere Seite einigermaßen fair spielt, kann eine Open Book Kalkulation schon zur Einigung beitragen.

Ich sehe Open Book als Beginn der eigentlichen Preisverhandlung. Das Zeitarbeitsunternehmen präsentiert den Open-Book-Preis und setzt damit den Anker für das Preisgespräch, das dann folgt. Typischerweise sind diese Preisgespräche dann sehr “technisch” - ist diese Annahme korrekt, ist jener Wert nicht unrealistisch? Hinter dem Austausch von Argumenten geht es aber immer um die gleichen Fragen. Wie mache ich der anderen Seite klar: 1) “bis hierhin und nicht weiter”, 2) bleibe dabei freundlich und 3) bringe überzeugend rüber, dass es sich lohnt, das Angebot anzunehmen.

Was tun Sie, wenn Sie eine Open Book Kalkulation vorlegen müssen? An dieser Stelle komme ich um etwas Werbung nicht herum: sofern Sie das Kalkulationstool für die Zeitarbeit kalkool noch nicht haben, besorgen Sie es schleunigst! Sonst spielen Sie ungewollt das Spiel der anderen Seite. Die weiß natürlich, dass es keine Kleinigkeit ist, eine Vollkostenrechnung zu erstellen und zu argumentieren. Fehler zu Lasten des Zeitarbeitsunternehmens werden großzügig übersehen, die anderen angeprangert. Denken Sie nicht, dass Sie mit dem Taschenrechner oder einem 08/15-Tool in dieser Diskussion bestehen können. Niemand kann das, auch ich nicht, und ich habe immerhin das laut Referenz “mit Abstand beste Angebotstool” für die Zeitarbeit geschrieben.

In der kalkool Version 2022 gibt es ein neues Arbeitsblatt “Betriebswirtschaftliche Analyse (BWA)”, das sich gut eignet, um eine Open Book Diskussion mit den Kunden zu führen.

Wer zu dieser Darstellung mehr erfahren will, dem empfehle ich dieses 3-Minuten-Video. Es ist eines von mittlerweile über 30 Kontext-bezogenen Videos, die man direkt aus dem Tool aufrufen kann.


Hier im Blog möchte ich die Darstellung nutzen, um die Fallstricke einer Open Book Kalkulation systematisch aufzulisten, d.h. wir gehen der Reihe nach durch die Kostenpositionen in Orange.


Erlösschmälerungen/Zahlungsbedingungen. Dinge wie Master-Vendor-Fees gehören hier selbstverständlich rein, aber auch die Auswirkungen von einer z.B. 2-monatigen Zahlungsfrist, die Finanzierungskosten nach sich zieht. Bereiten Sie sich auf eine Diskussion vor, welcher Zins als “angemessen” anzusetzen ist.

Lohn / Gehalt. Sollte bei einer Open Book Kalkulation bekannt sein, sonst macht die ganze Kalkulation schlicht keinen Sinn. Bei vielen Einsätzen verändert sich der Lohn im Laufe der Zeit (Branchenzuschläge, Equal Pay, Erfahrungszuschläge etc.). In diesem Fall braucht man einen gewichteten Durchschnitt - viel Spaß, wenn Sie den mit dem Taschenrechner rechnen wollen!


Urlaubs-/Weihnachtsgeld. Leicht zu rechnen, richtig? Schließlich braucht man nur im Tarifvertrag nachzuschauen. Leider nein! Wie hoch diese Zahlungen ausfallen, hängt davon ab, wie lange die jeweiligen Mitarbeiter schon im Unternehmen sind. Außerdem ändern sich diese Zahlungen, in 2022 sind sie z.B. gestiegen.


Unproduktive Zeiten. Die Anzahl von Urlaubstagen kennen Sie. Feiertage auch, aber - ärgerlich - die relevante Anzahl schwankt jedes Jahr. Wird der Verrechnungssatz dann jeweils angepasst? Größter Unsicherheitsfaktor sind aber eindeutig die Zeiten für Arbeitsunfähigkeit (AU). Machen Sie sich klar: irgendwelche Durchschnittswerte z.B. aus der Gesundheitsreports der Krankenkassen sind bestenfalls eine Annäherung. Eigentlich wollen Sie kalkulieren, wie es sich in diesem Auftrag verhalten wird. Eine Menge Gesprächsstoff für die Preisverhandlung … Und was ist mit Garantiezeiten? Die kommen nun mal vor und gehören daher auch in die Kalkulation. Das wird die andere Seite aber ziemlich sicher anders sehen.


AG-Beiträge. Sind im großen und ganzen bekannt und vergleichsweise leicht zu rechnen. Bei den exotischeren Positionen wie der Schwerbehindertenabgabe sieht das aber schon anders aus. Aber: weglassen gilt nicht, das hilft unmittelbar der anderen Seite.

Nebenkosten. All die vielen Kosten, die in einem Einsatz sonst noch eine Rolle spielen können. Das sind Dinge wie Fahrtkosten, Verpflegungsmehraufwand (VMA), Ausrüstungen etc. Hier wird man oft auch mit Schätzungen arbeiten müssen. Teilweise ist Detailwissen gefragt: bei Fahrtkostenzuschüssen z.B. nicht vergessen, auch die Pauschalsteuer von 15% zu kalkulieren!

Mit diesen Kostenpositionen können wir den DB1 ermitteln. Schon in dieser Rechnung gibt es eine Reihe von Fragezeichen. Wenn wir uns die Rechnung bis zum DB 3 anschauen, wird es leider nicht besser.


Niederlassungskosten. Das Problem liegt gar nicht so sehr darin, die jeweiligen Kosten zu ermitteln. Viel schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie stark der zu kalkulierende Auftrag die Ressourcen der Niederlassung in Anspruch nehmen wird. Ihr Kunde wird Ihnen natürlich erklären, dass der Auftrag sich sozusagen von selbst erledigt - kaum Arbeit für die Niederlassung! Sind Sie möglicherweise anderer Ansicht.

Kosten der Zentrale. Hier haben wir das gleiche Problem wie bei den Niederlassungskosten. Kunden argumentieren auch gerne, dass es sich um fixe Kosten (“eh da” Kosten) handelt, die im Auftrag nicht berücksichtigt werden müssen. Darauf sollten Sie sich nicht einlassen. Übersetzt lautet diese Forderung: “die Kosten für die Zentrale sollen bitte die anderen Kunden bezahlen”.


Mit all diesen Unwägbarkeiten gelangen wir nun zur Schätzung des DB3. In Prozent auf den Umsatz ausgedrückt ist das die Umsatzrendite, und jetzt geht es eigentlich erst richtig los: bis wann ist eine Umsatzrendite fair, wann ist sie überzogen? Richtig oder falsch gibt es hier nicht, im besten Fall können sich die Verhandlungspartner auf akzeptierte Erfahrungswerte einigen. Ein in der Branche immer wieder genannter typischer Zielwert liegt bei 5% Umsatzrendite. Ist eine Planung OK, die 5% Umsatzrendite vorhersagt? Wir kommen auf das Thema zurück.

Hier also mein Fazit. Falls Sie die Zukunft perfekt voraussehen können, können Sie auch perfekt kalkulieren. Ansonsten bleiben Unsicherheiten und Risiken. So ist das nun einmal und das spricht nicht gegen Kalkulieren per se - Kalkulieren ist nicht perfekt, aber immer noch 1000 Mal besser als Raten.


Das Open Book Problem liegt meines Erachtens darin, dass Sie als Lieferant ein höheres Risiko tragen, dass die Kalkulation nicht aufgeht. Nehmen Sie z.B. AU-Tage. Im besten Fall ist ein Arbeitnehmer im Einsatz gar nicht krank, dann werden gegenüber der Kalkulation Zusatzumsätze erwirtschaftet. Aber der maximale Effekt ist stark begrenzt. Wenn Sie z.B. 10 AU-Tage pro Jahr kalkulieren, dann kann die Kalkulation im besten Fall 10 Umsatz-Tage pro Jahr besser sein als geplant. In die andere Richtung sind aber viel höhere Effekte denkbar und kommen auch vor! Wenn der Arbeitnehmer verunfallt und 3 Monate außer Gefecht gesetzt wird, dann reden wir von ca. 60 statt 10 AU-Tagen, die natürlich jede Kalkulation ad absurdum führen.


Können Sie sich vorstellen, dass ein Projekt nur 1/11 von dem kostet, was geplant war? Sicher nicht, aber Projekte die 11 Mal teurer sind gibt es, und ich rede natürlich von der Hamburger Elbphilharmonie. Die großen Unbekannten sind negativ und nicht positiv. Jede Planung ist in gewissem Sinne “best case”. Es gibt immer Dinge, die wir nicht vorhersehen können und im Regelfall gehören die in die Kategorie “böse Überraschung”.

Daher müssen wir die Aussage zur fairen Umsatzrendite relativieren. Wenn beide Seiten ein Ergebnis von 5% als “faire” Umsatzrendite akzeptieren können, dann sollte in der Kalkulation dieser Wert um eine Risikoprämie ergänzt werden. Damit tragen beide Seiten der Tatsache Rechnung, dass der Lieferant prinzipiell höhere Risiken tragen muss als der Einkäufer. Im Beispiel oben liegt die geplante Umsatzrendite übrigens bei 6,5%. Finden Sie das fair?


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